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Montag, 1. November 2010

Fieber: gelb oder anders - fünf glühende Menschen, zwei Bands

(Photo: Mark Monnone)

Fast den gesamten Oktober hatte ich nun keine Zeit. Alle Zeit der Welt also, Musik zu hören. Und es sind mir haufenweise schöne Platten begegnet, in dieser Zeit außerhalb der Zeit. So viele, daß ich am rechten Rande eine kleine Liste mit Links zu Hörenswertem plaziert habe, um meinem Drang, meine Begeisterungen mit der Welt zu teilen, ein Ventil bereitzustellen. Ganz oben standen dort bis eben YellowFever, deren wunderbare Platte mir der immer wieder für eine Überraschung gute Genosse Zufall in die Hände gespielt hat.

Marky, Betreiber von The Lost And Lonesome Recording Co. hatte die CD im Gepäck, als er in seiner Funktion als Bassist der fabelhaften Still Flyin' in Hamburg zu Gast war (die ich ja an anderer Stelle bereits ausgiebig gefeaturet und interviewt habe). Im Gegensatz zu Europa hat die Platte des androgynen Duos aus Austin/Texas nämlich in Australien und Amerika Labels gefunden (Lost And Lonesome, respektive Wild World). Ihrer mangelnden Präsenz im hiesigen Netz aus Längen- und Breitengraden kann man nur mit Unverständnis entgegentreten, so man denn vor lauter über dem Kopf zusammengeschlagenen Händen und Füßen denn noch dazu im Stande ist.


Der Sound YellowFevers erinnerte mich sofort an etwas. Nur: was? Die Assoziation ist nach wie vor zu verschleiert, als daß ich sie zu fassen bekäme. Vorschläge sind herzlich willkommen! Ich dachte zuerst an Kill Rock Stars, das wunderbare Label mit Bands wie Bikini Kill, Huggy Bear, Sleater-Kinney und Erase Errata. Doch ich habe mir alles Erdenkliche aus dem Umfeld noch einmal angehört, und niemand kam so richtig als Soundalike in Frage. Die Verweise, die allerorten aus dem Labelinfo abgeschrieben werden - Young Marble Giants und Stereolab - wollte ich zunächst mit einer lässigen Geste als Referenzpunkte disqualifizieren, doch in der Verzweiflung des Mangels besserer Vergleiche finde ich diese beiden Bands als Eckdaten immer attraktiver, wenn auch nicht ausreichend. Wahrscheinlich sind YellowFever irre Wissenschaftler, die aus dem Erbgut beider Bands eine Killrockstarsband gebastelt haben. Mit den jungen Marmorriesen haben sie in jedem Falle den Hang zur radikalen Destruktion gemein; die Grundausstattung von Schlagzeug, Baß und Stimme wird manchmal um eine Gitarre oder Orgel ergänzt. Die Lieder klingen kühl, aufregend und unaufgeregt: Die Garage ist in das Labor zweier freundlicher, witziger junger Wissenschaftler verlegt worden, die Tee aus dem Erlenmeyerkolben mit Milch und Zucker kredenzen. Und dabei Dinge erzählen wie "The cutest boy I ever saw / Was sipping cider through a straw" oder "My brother and I went to a show / And we saw everyone we know". Und feststellen, daß mit diesen beiden Aussagen ja bereits die textliche Ebene für die neueste Erfindung erschaffen wäre.


Grass Widow



Tatsächlich bei Kill Rock Stars sind Grass Widow, auf die ich bei meiner Suche nach Referenzen für YellowFever gestoßen bin. Das Trio aus San Francisco könnte hervorragend mit YellowFever auf Tour gehen, doch leider mußte ich feststellen, daß die Damen erst jüngst in Europa waren. Ohne YellowFever. Musikalisch sind sie zweifelsohne nervöser als das Duo aus Texas, ein meist unverzerrter, leicht hektischer Postpunksound baut sich vor den Lautsprechern auf, dessen Hektik durch den mehrstimmigen Gesang aufgefangen wird, in dem seltsame Texte dargeboten werden; die Instrumente auf Uppern, die Stimmen auf Downern. Und was diese Stimmen singen, wünscht man sich, als Teenager im Booklet mitzulesen, irritiert zu werden, einen anderen Zugang zu Sprache, Musik und Welt zu finden. Und zur Welt der Musik und ihrer Sprache. Denn zu finden gibt es etwas, in aller erfreulichen Uneindeutigkeit dringlich und entschlossen taumelnd.