Montag, 27. Dezember 2010

Vor 800 Jahren: Friends Again et al.

Pop, der Große, mit Ausrufezeichen hinter jedem Buchstaben, ist ausgestorben, correct me if I'm wrong, ich freue mich über Gegenbeweise.

Wenn heuer jemand das three-letter-word dieserart buchstabiert, dann doch meist als Code für die Spielart des Pop, der zugleich für sich beansprucht, ganz klein zu sein. Kurioserweise ist es ein Wort aus der Babysprache, das von vielen Anhängern synonym gebraucht wird: twee. Sie wissen, wovon ich rede. "Sweet" wäre das standardenglische Wort dafür. Und der Rückzug in den Sandkasten ist ja durchaus nicht die unangenehmste Verweigerungsstrategie in einer Leistungsgesellschaft, die zudem für Kunst herzlich nur dann etwas übrig hat, wenn sie kurzfristig einen relevanten Wirtschaftsfaktor darstellt. Bezeichne man gewisse Musik nun als twee, indie, C86 oder eben einfach P!O!P!; das benannte Feld wird relativ kongruent sein und der Begriff doch Verschiedenstes subsumieren. Und warum auch nicht; hundertprozentig trennscharf sind Ordnungsbegriffe schließlich selten. Bloß war einem, als die Begriffe aufkamen, natürlich noch nicht so sehr daran gelegen, einer diesem oder jenem Begriffe zugeschriebenen Ästhetik zu entsprechen.

Wie auch, bezeichneten die Begriffe doch Dinge im Werden. Man dachte noch in anderen Kategorien, Erkenntnis- und Kompositionsmustern - die veränderten sich schon immer sekündlich. Doch heute ist die fragliche Kategorie gegeben und ausbuchstabiert.

Bis hier noch nichts Bedauernswertes. Doch ich habe mir eine Platte gekauft. Eben gerade. Und die machte mir sehr bewußt, daß mit der Herausbildung der Indiekategorie, die so vieles benennt, das wir lieben, etwas verloren gegangen ist. Musik, die viel eher kapitaler Ausrufezeichenpop ist; vielleicht DER Ausrufezeichenpop. Musik von brennender Jugend, elegant, glatt, soulful.

Wo ist Behle?

Da ich ja darauf hinaus möchte, Friends Again zu verherrlichen, fange ich an beim Sound Of Young Scotland. Orange Juice sind mittlerweile berechtigtermaßen Säulenheilige des Indiepop, wobei die Band diesen Ruf jedoch in erster Linie dem frühesten Frühwerk verdankt, denn bereits mit dem ersten Album - und danach noch viel mehr - verabschiedete man sich von jeglicher vordergründigen Holprigkeit, umarmte den heißen Scheiß der zeitgenössischen Musikproduktionsmöglichkeiten und braute trotzdem an einem höchst eigenen Bier. Die Suche nach dem perfekten Popsong, klanglich allen zugänglich und trotzdem idiosynkratischst und neu. Platten, denen man gar nicht anhört, daß sie einen irritieren, die sich mit großer Geste in anderer Leute Gehörgänge einladen und im Mainstreamradio nicht unangenehm auffallen würden. Aber trotzdem zu eigen sind, als daß man sie vergessen oder gar verwechseln könnte. Was, wenn nicht das, ist großer Pop? Allein, die Gruppen von denen ich spreche, haben es nicht geschafft. Am wenigsten Friends Again, denn wer kennt die heute?

Doch zurück zum Ausgangspunkt, um über alte Bekannte an die Band heranzukommen. Und der hieß ja "Sound Of Young Scotland" - und mithin das Postcard-Label, das diesen an Motown angelehnten Slogan führte. Neben Orange Juice und Josef K, den beiden heutigen Indiehörern geläufigsten Vertretern, heißt das vor allem Aztec Camera. Postcard brachte die unglaublichsten Lieder des 16(!)jährigen Roddy Frame heraus, bevor dieser auf Rough Trade das unfaßbare "High Land, Hard Rain" veröffentlichte. Bereits für die zweite LP "Knife" ging es dann, folgerichtig bei einem so groß angelegten Pop-Entwurf, zu WEA; hinter dem Mischpult saß dann Mark Knopfler. Und das klingt, man mag es kaum glauben, formidabel - und ist der punkste Schritt, den man sich hinsichtlich der Fanbase vorstellen kann. Hier, bitte sehr, ein Beispiel:


Als dritte Postcardband, die sich nach einem großen Sound aufmachte, wären da noch die Go-Betweens, die ja aber doch zu Recht nie vergessen wurden und sich auch in Indiekreisen ungebrochener Beliebtheit erfreuen. Mit den Go-Betweens teilen Lloyd Cole und Scritti Politti die Umstände, keine Schotten zu sein und der Popwelt mit offenen Armen entgegen gestürmt zu sein. Doch wer sich für Musik interessiert, kennt die. Und Friends Again?


Trapped and unwrapped: Friends again

Hunderte von Euros kann man für die CD-Ausgabe von "Trapped And Unwrapped", dem einzigen Langspieler der Band bezahlen. Kein Scheiß. Und es gibt Platten, die es durchaus weniger verdient haben, so hoch gehandelt zu werden. Trotzdem war ich froh, heute unverhofft das Vinyl für 2€ mein Eigen nennen zu dürfen. Im Über-Popjahr 1982 gründet sich die Band in Schottland und sieht aus, wie man es sich für schottische Popmusiker zu der Zeit gehört: jung, selbstbewußt, Tolle, Wayfarer. Und so ähnlich klang man dann auch: Style dringt aus allen Poren und nichts läßt einen Zweifel daran, dass die jungen Männer es nicht einfach nur wissen wollen - sie wissen es bereits. An ihnen und an ihrer Musik ist nichts fett oder muskulös, und wenn sich die Musik auf Soul beruft, dann ist das nicht dickbäuchig, und funky Gitarrenlicks sind nie verschwitzt, sondern auf kühle Weise anmutig. Die Realismuspose hat hier nichts zu suchen. Diese jungen Männer sind elegant und eloquent und die Welt müßte ihnen zu Füßen liegen. Als hätte man David Bowies "Young Americans" durch den Pop von 1982 gefiltert und 1984 noch einmal aufgenommen. Es kam allerdings anders; die Platte bekam sehr gemischte Kritiken und der kommerzielle Erfolg blieb aus; die Band zerbrach und die Songwriter James Grant und Chris Thomson gründeten Love And Money und die Bathers.

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