Samstag, 6. November 2010

Soul als Jeansflicken und als Wappenschild

Selbstredend möchte ich gar nicht damit hinterm Berg halten, was für wunderbare Musik es war, die mir einen größtenteils gruseligen Oktober erträglich machte. Neben den jüngst erwähnten YellowFever und dem sehr schönen neuen Album von Stanley Brinks waren dies vor allem zwei Gruppen, nämlich Hands And Knees aus Boston und die in New Orleans ansässigen Generationals.


Viel gemeinsam haben die beiden Gruppen an und für sich nicht, doch neben meinem quasi gleichzeitigen Kennenlernen ihrer Musik gibt es noch einen weiteren Grund für mich, die Bands in zwei benachbarten Reihenhäusern in der Vorstadt meines Gedächtnisses anzusiedeln: ihr Verhältnis zum Soul. Das mag gerade mit Hinblick auf Hands And Knees zunächst einmal verwunderlich erscheinen, doch gemach, gemach. Zuletzt dann noch ein, zwei Sätze über das Soulboy Collective, das die Buchstaben S,O,U und L auf dem Wappenschild trägt und mir in den letzten Tagen Freude bereitet hat.

Hands And Knees




Hands And Knees sind weit davon entfernt, Musik für Mods zu machen. Vielmehr klingen sie nach der Musik, von der man sich vorstellt, daß sie US-Amerikanische Mittelklassesprößlinge nach der Schule in der Garage machen. Natürlich nicht die beliebten Jugendlichen, sondern diejenigen, von denen niemand weiß, dass sie die einzigen sind, die etwas halbwegs Interessantes mit ihrem Leben machen können. Es sind nicht die vollkommen verschüchterten Genies, die bei Mutti wohnen, bis einer von beiden stirbt, und deren Tapes womöglich irgendwann per Zufall gefunden werden, wahrscheinlich aber eher gar nicht. Es sind Jugendliche, die immerhin genug Selbstbewußtsein haben, sich mit den Lehrern anzulegen; sie haben ein paar Freunde und sie werden so schnell es geht in die Großstadt ziehen und Musik machen. Und/oder im Medienprekariat landen. In jedem Falle sind es Getriebene, die es wissen wollen. Was auch immer "es" sein mag. Darum geht es ja. Die Verachtung alles Vorstädtischen ist in 17 Jahren so weit gediehen, daß sie allerhöchstens an Weihnachten und Thanksgiving an den Ort des Verbrechens zurückkehren. Zusammengefaßt: Hands And Knees klingen, als hätte Claire Fisher aus "Six Feet Under" eine Band.

Und der Soul? Der ist eigentlich ganz selbstverständlich da. Im Baß, in den Songstrukturen. Dabei listet die Band selber Soul gar nicht neben Punk, Country und Brit-Pop als Einfluß auf, und letztlich wäre das auch vermessen. Doch er ist da, wenngleich hier strukturell gilt, was Wave Pictures-Sänger David Tattersall über ein eigenes Riff bemerkte: "It's the kind of soul riff that indie bands play, rather than anything a soul band would do." Es wäre mir vielleicht auch nicht weiter erwähnenswert erschienen, wenn nicht derzeit so viele Bands soulaffine Popmusik der mittleren Sechziger offensiv zitierten, und dabei fast grundsätzlich way too bemüht klängen. Oder gleich nach Heroin-Keller (und den Baß hat man leider schon für Schore versetzt).

Wer jetzt "Dancing On Your Tears" und "Into The Cold Lake" hört und weiß, was ich meine, möge bitte mit mir auf der Drehscheibe des Spielplatzes Wein mit reingedrücktem Korken trinken.



Für alle anderen sei es profan ausgedrückt: super-amerikanisch, super-indie, die amerikanische Garage sei gesegnet! In amerikanischen Garagen kann man auch viel mehr unterschiedliche Dinge anstellen, als in europäischen. Die Garage-Wildstylez des im Jänner erscheinenden, noch unbetitelten Albums checke man hier (und beginne am besten nicht mit dem ersten Stück, das ist nämlich dann doch nicht so doll).

Generationals


Durch das Klienicum stieß ich vor ein paar Wochen auf die Generationals und war hellauf begeistert. Wir befinden uns immer noch im Reiche der Menschen, die aussehen wie Indie-Dudes, die in diesem Falle aber nicht wirklich nach Garage klingen, bzw. dem Garagensound durchaus Zutritt in ihre Stube gewähren, doch er ist eher ein Freund als ein Familienmitglied.


Merkst selber: Die Twang-Gitarre ist von Tommy James, die Bläser hingegen von Genesis, was mitnichten despektierlich gemeint ist, sondern ein wunderbares Stück adäquat beschreiben sollte. Der Killertrack der in adrette Schluffigkeit gewandeten Herren, die immer noch fleißig aussehen, ist allerdings "When They Fight, They Fight", bei dem der Souleinfluß eminent ist, und das sich neben erwähnter Instrumentenkombination verführerische Tasteninstrumente (Rhodes und Moog, wenn mich nicht alles täuscht) und Beach-Boys-Chöre zunutze macht. Wie bei allen besseren Generationals-Stücken singt Faye Malarkey Black, die der nüchternen Betrachtung von Streit und Trennung im symbolischen Regen ihre Stimme leiht.


Keine Liebeslieder bei den Generationals also, sondern Songs der Desillusioniertheit auf uplifting und souligen Instrumentalspuren. Und das sind dann im besten Fall auch Lieblingslieder. Und wenn es dann doch mal garagenrockig wird, dann klingt das nicht nur meist noch immer ziemlich fesch, sondern sieht auch aus, wie es sollte, nämlich so:


Soulboy Collective


Während die beiden Herren von den Generationals und ihre Begleitband auf mich wirken wie zeitgenössische Souljungs und -mädchen, würde ich beim Soulboy Collective eher von Mods sprechen, aber das Kollektiv weiß wahrscheinlich am besten, ob eine solche Unterscheidung überhaupt Sinn ergibt; denn ihrem Auftreten nach sind sie akribische Sammler britischer Subkulturobjekte. Es stimmt alles: Style-Council-Poster an der Wand, Camden-Exchange-Aufkleber auf der Single, Fred-Perry-Hemd unterm Pullunder (oder lassen Sie es Ben Sherman sein) - und der eigene Schriftzug gemahnt an die Two-Tone-Ästhetik. Spätestens beim Lesen des an Motown, bzw. Postcard angelehnen Myspace-Slogans ("The Sound of Young Kornwestheim") weiß man: Man hat hier nicht den unangenehmsten Schlag von Nerds vor sich. Wo viele ihrer Weggefährten, denen das Sammeln nicht genug ist, sich dann aber doch nicht getrauen, von sicheren wie geschmäcklerischen Indie-Pfaden abzuweichen, wagt das Soulboy Collective die große Geste. Zumindest die kleine große Geste, but it does make all the difference. Nerdig genug, sich nicht nur britischem Pop ab 1981 auszukennen, sondern auch mit seinen Wurzeln und auch entschieden genug, um sich nicht hinter schüchterner Niedlichkeit zu verschanzen. Was natürlich auch gar nicht per se schlecht ist, aber wessen cooles Wissen schon so nah an jenem St. Etiennes dran ist, tut gut daran, davon gebrauch zu machen. Und da es das tut, klingt das Kollektiv nicht wie der 287. St. Etienne-Klon ohne Ideen, sondern nach Jägern und Sammlern, die nicht bloß einen großen kulturellen Schatz angesammelt haben, sondern auch Spaß daran haben, aus ihm zu schöpfen. Und wer "St. Etienne" sagt, kann ruhig auch "Secret Goldfish" und "New Order" im gleichen Satz erwähnen. Hab ich doch auch gerade gemacht. Doch das habe ich ja nur dem Soulboy Collective nachgeplappert. Stuttgart [siehe auch: Monsieur Mo Rio] gefällt mir immer besser!

[Zum ersten mal las ich bei Coast Is Clear über diese Band. Danke fürs finden!]

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